© 1981, Nachruck 1988 Musikinstrumentenmuseum des
Staatlichen Instituts für Musikforschung Preußischer Kulturbesitz, Berlin.

Text: GESINE HAASE

Der Berliner Blasinstrumentenbau im 19. Jahrhundert

Die Tradition des Berliner Blasinstrumentenbaus reicht bis in die Zeit Friedrichs des Großen zurück. Viele junge Instrumentenmacher zog es zu der berühmten Firma von Friedrich Gabriel A. Kirst in Potsdam, so u.a. auch J. Conrad Griessling und B. Schlott. Sie waren um 1800 in Kirsts Werkstätten tätig und lernten dort ihr Handwerk. Gemeinsam gründeten sie 1808 in der preußischen Hauptstadt eine eigene Firma und errangen in kürzester Zeit, besonders mit ihren Holzblasinstrumenten, internationale Anerkennung. So spielte der Militärmusiker und Klarinettenvirtuose Heinrich Josef Baermann die im Jahre 1811 entstandenen Klarinettenkonzerte von Carl Maria von Weber auf Instrumenten von Griessling und Schlott.

Die Anfänge des Berliner Blasinstrumentenbaus

Im Laufe der Jahre gingen Griessling und Schlott auch dazu über, Blechblasinstrumente herzustellen. Sie berücksichtigten dabei die für diese Instrumentengattung neuesten technischen Erfindungen: die Ventile. Die Aufgabe dieser mechanischen Vorrichtung zum Steuern der Blasluft besteht darin, die Schallröhre des Blasinstrumentes durch Einschalten von Zusatzbögen zu verlängern und damit den Ton zu vertiefen oder umgekehrt, den Ton durch das Ausschalten von Teilen der Röhre zu erhöhen. Mit der Erfindung der Ventile konnte man endlich auf einem Blasinstrument alle Töne der chromatischen Skala spielen. Die mehr oder weniger geglückten Versuche im ausgehenden 18. Jahrhundert, den Tonraum durch Aufsteckbögen, das Anbringen von Klappen oder durch Stopfen des Schalltrichters mit der Hand zu erweitern, gehörten der Vergangenheit an. Das Patent für diese bahnbrechende Erfindung reichten 1818 der Oboist Blühmel und der Berliner Kammermusiker Stölzel ein. Jedoch zeigten die ersten “Kastenventile” in den Anfängen noch manche Mängel: Der Wind wurde an scharfen Ecken vorbei und durch enge Kniestücke gezwängt, so dass Ansprache und Ton litten. Zudem waren die Musiker gegenüber der Neuerung voreingenommen. Diese Umstände erschwerten der Erfindung den Weg in die Praxis.

Zu dieser Zeit tauchte in der Werkstatt von J. C. Griessling und B. Schlott ein junger, ehrgeiziger Kammermusiker der Berliner Oper auf: Wilhelm Wieprecht. Als Musikerkind 1802 in Thüringen geboren, erlernte er nach althergebrachter Zunftsitte verschiedene Instrumente. Nach mehrjährigen Gesellenfahren kam er nach Berlin. Hier, in der preußischen Hauptstadt, erregte die Militärmusik schon recht bald seine Aufmerksamkeit. Als gelerntem Blasinstrumentalisten mussten ihm die Mängel dieser Kapellen auffallen. Bei der Kavallerie, deren Musik besonders dürftig war und deren Musikstücke sich höchstens zwischen Tonika und Dominante bewegten, fand er mit seinen Verbesserungsvorschlägen willige Aufnahme. Aus dieser praktischen Erfahrung, die er im Umgang mit der Kavalleriekapelle erworben hatte, gab er nützliche Ratschläge an die beiden Instrumentenmacher Griessling und Schlott weiter. Fast täglich erschien er in ihrer Firma und nahm lebhaften Anteil an der Entwicklung der Ventilinstrumente. 1835 starb der inzwischen als Hofinstrumentenmacher ausgezeichnete Conrad Griessling. Sein Teilhaber setzte bis 1842 das Geschäft fort. Von den Zeitgenossen wurde diese Werkstatt als eine der berühmtesten in Berlin gelobt.

Johann Gottfried Moritz und die Erfindung der Basstuba

Zur gleichen Zeit wie Griessling und Schlott ließ sich 1808 Johann Gottfried Moritz (1777 - 1840) in Berlin nieder. Auch er hatte Erfolg und wurde 1819 königlicher Hofinstrumentenmacher; 1835 folgte die Würde eines akademischen Künstlers, die ihm vor unliebsamer Konkurrenz Schutz garantierte. Zusammen mit Wilhelm Wieprecht und seinem Sohn Carl Wilhelm Moritz gelangen ihm um 1833 erhebliche Verbesserungen am Ventilsystem. Die Wieprecht-Moritzschen “Berliner Pumpen”, wie diese Ventile von Anfang an genannt wurden, waren zuverlässiger als ihre Vorgänger und wurden viel und gern angewendet.

Kurze Zeit danach entwickelte Moritz ein neues Instrument, die Basstuba. Er ließ sie 1835 patentieren. Die Basstuba entsprach Wilhelm Wieprecht’s Intentionen völlig, denn die bisherigen Möglichkeiten der Bässe in seinen Kapellen waren sehr unzureichend. Allein die technischen Schwierigkeiten, die bei der Herstellung einer Tuba bewältigt werden mussten, waren groß. So gehört zu einer Tuba in F eine Rohrlänge von 3,5 bis 4 Meter (einschließlich der fünf Ventile sind es 6 Meter), und zum Formen des Metallrohres waren zweieinhalb Zentner Blei nötig. Johann Gottfried Moritz löste die technischen Probleme erfolgreich, und noch im selben Jahr führte Wilhelm Wieprecht die Basstuba in die Militärmusik ein.

Die Firma Moritz im 19. und 20. Jahrhundert

Nach 1840 setzen auch die Opern- und Sinfonieorchester das inzwischen bewährte Instrument ein.
Andere Firmen wie die von Adophe Sax in Paris und Cerveny in Böhmen kopierten die Erfindung, neue Instrumente in Kontrabass- und Subkontrabass-Lage entstanden.

Der Sohn von Johann Gottfried Moritz, Carl Wilhelm Moritz, hatte schon fünf Jahre vor dem Tod seines Vaters die Firmenleitung übernommen und brachte ebenfalls eine Reihe von Neuschöpfungen auf den Markt  u.a. eine Tuba in Tenor-Lage und ein tiefes Fagott.
Nach seinem frühen Tod 1855 traten seine beiden Söhne, unter ihnen Johann Carl Albert Moritz, in den Betrieb ein. Carl Albert Moritz hatte eine gründliche Ausbildung in Petersburg, Paris und London erhalten und dort Kontakte zu berühmten Musikern und Komponisten seiner Zeit geknüpft. Mit ihm begann eine weitere sehr erfolgreiche Epoche in der Firmengeschichte. Mit kaufmännischem Sinn ging er auf die Wünsche seiner Kunden ein. Er baute für die Aufführungen der Opern Richard Wagners Basstrompeten (1866), ebenso Kontrabass-Posaunen für die Ring-Inszenierungen. Auch die Konstruktion von Waldhorntuben ging auf die Anregung Wagners zurück. Sie nannte man bald nur noch “Wagner-Tuben”. 1894 gab der Opern-Komponist Felix Weingarten bei Moritz eine Querflöte in F (Alt-Lage) in gestreckter Form sowie eine Bass-Querflöte in Auftrag. Letztere war wohl die einzige in Deutschland gebaute tiefe C-Flöte.

Nach dem Tode von Johann Carl Albert Moritz übernahmen die Söhne den Betrieb. Der 1908 anlässlich des 100-jährigen Bestehens abgefasste Katalog über die Firmenprodukte enthielt eine erstaunlich lange Liste von Holz- und Blechblasinstrumenten, ebenso Streich- und Schlaginstrumente. 1955, nicht zuletzt als Folge der beiden Weltkriege und der sich überall im In- und Ausland entwickelnden Konkurrenz, wurde die Firma Moritz in Berlin aufgelöst.
Doch zurück ins 19. Jahrhundert. Nicht alle Instrumente, die der Förderer der Militärmusik, Wilhelm Wieprecht, bei den Instrumentenmachern anregte, waren erfolgreich. Das gilt wohl vor allem für das Batyphon, das er gemeinsam mit Eduard Skorra in Berlin 1893 konstruieren ließ. Dieses Instrument war ein Vorläufer der Bassklarinette. Es konnte sich jedoch wegen seiner stumpfen Klangfarbe in der Tiefe nur kurze Zeit in den Militärkapellen halten.

Die Militärmusik als Experimentierfeld für neue Blasinstrumente

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden in Berlin zahllose Firmen, die sich dem Blasinstrumentenbau widmeten. Unter ihnen war Oskar Oehler, der wohl die zu seiner Zeit besten Klarinetten an die Musiker in Deutschland und Österreich lieferte, aber auch gute Querflöten baute.
Einen ähnlich guten Namen hatten bei Kennern die Firmen Edmund Paulus, C. F. Zetsche und Söhne, Leopold Renz, Arthur Sprinz sowie die Firma Gustav Eschenbach.
All diese neu erfundenen oder technisch verbesserten Instrumente wurden zunächst bei den Militärkapellen ausprobiert. Sie spielten innerhalb der volkstümlichen Musikkultur der Zeit eine nicht zu unterschätzende Rolle. Durch die Pionierarbeit von Wilhelm Wieprecht, der seit 1838 als Direktor der gesamten Musik des Gardekorps tätig war, wurden als so genannte Harmoniemusiken Bearbeitungen von klassischen Werken u.a. von Haydn, Mozart und Beethoven aufgeführt. Er stellte diese Musik so einem breiten Publikum vor. Neben dem klingenden Spiel der Wachtparaden, der Aufmärsche und Platzkonzerte als Teil des offiziellen Lebens in der preußischen Hauptstadt fanden die Militärkapellen beim Musizieren in den zahlreichen Kaffee-, Bier- und Konzertgärten beim vergnügungssüchtigen Berliner Publikum aufmerksame Zuhörer.

Die berühmtesten Komponisten seiner Zeit - Richard Wagner, Franz Liszt, Gasparo L. P. Spontini und Giacomo Meyerbeer - baten Wilhelm Wieprecht in respektvollem Ton um Transkriptionen ihrer Kompositionen für Blasorchester. Sie hatten wohl die Werbewirksamkeit solcher Arrangement erkannt.
Lobende Anerkennung errang Wilhelm Wieprecht 1838 am Preußischen Hof mit einem Massen-Konzert für 1.000 Bläser und 200 Trommler anlässlich des Besuchs von Zar Nikolaus I.
...
Begeistert über die von Wieprecht geleisteten “Schlachten” äußerte sich u.a. auch Hector Berlioz: “Stellen Sie sich vor, dass er [Wieprecht] eine Masse von mehr als 600 Musikern unter sich hat, welche alle gut vom Blatt lesen, den Mechanismus ihrer Instrumente gründlich kennen, rein spielen und von der Natur mit unermüdlichen Lungen und ledernen Lippen bedacht worden sind. Daher die außerordentliche Leichtigkeit, mit der Trompeten, Hörner und Cornets die hohen Noten geben, welche unsere Künstlicher nicht erreichen können. Es sind nicht Regimentsmusiker, sondern Regimenter von Musikern.”

Auszugsweise Abschrift
mit freundlicher Genehmigung von
Prof. Dr. Conny Sibylla Restle
Museumsdirektorin